MY STORY

Fast immer, wenn ich mich mit jemandem über das Thema nonverbale Kommunikation unterhalte und deutlich mache, welche Bedeutung ich diesem Thema beimesse, werde ich gefragt, wie ich überhaupt darauf gekommen bin, mich damit zu beschäftigen. Mein Interesse entstand aus einer praktischen Notwendigkeit heraus. Als ich begann mich mit Körpersprache auseinanderzusetzen, kam ich täglich mit 60 bis 100 Kunden in Berührung. Seit über fünfundzwanzig Jahren bin ich im Verkauf. Seitdem analysiere ich die unterschiedlichen Reaktionen des Kunden beim Kaufen. Es war also unausweichlich, dass ich mich für Körpersprache zu interessieren begann. Besonderes Interesse hatte ich für die nonverbalen Ausdrücke der Kunden beim Verkaufsprozess. Ob bei Fragetechniken in der Bedarfsanalyse oder im Abschluss. Es war eine interessante psychologische Übung. Was denkt er? Was fühlt er? Was hofft er und was fürchtet er?

Es begann, als ich zum ersten Mal mit High-End-Produkten konfrontiert wurde. Ich habe damals Stereo-Anlagen verkauft. Jahrelang zuvor habe ich herkömmliche Produkte an gewöhnliche Kunden verkauft. Ich habe bei einem der größten Unterhaltungselektronikmärkte der Welt als Verkaufsleiter gearbeitet. Bis dahin hatte unser Unternehmen keine Berührungspunkte mit High-End-Produkten. Dann haben wir durch unser neuartiges Konzept diesen Premiumsektor als neuen Markt und zusätzliche Chance gesehen und entsprechend erschlossen. Die Produkte waren fantastisch und die Kunden waren anders als die, die wir bisher kannten. Sie waren entspannte und ertragsreiche sowie wartungsintensive, sprich: anspruchsvolle Kunden.

Ich lernte innerhalb kurzer Zeit die Basics und ich wollte das Gelernte natürlich sofort in die Tat umsetzen, denn hier lag eine große Chance, dieses neue Segment zu etablieren und somit einen neuen Standard für den kompletten Konzern einzuführen. Die ersten Ergebnisse waren sehr entmutigend. In den ersten drei Monaten habe ich alle Rekorde gebrochen. Im negativen Sinne. Ich habe als einziger Händler nicht eine von diesen Stereo-Anlagen verkauft. Jeder andere Händler hat verkauft, nur ich nicht. Ich war perplex, denn ich hielt mich bis dahin für einen guten Verkäufer und ich konnte sehr gut reden. Ich ging noch mal alle Verkaufsschulungen durch, die ich bis dahin durchlaufen hatte. Da waren sehr wirkungsvolle Mechanismen dabei: Zur Bedarfsweckung, Einwandbehandlung, Nutzenargumentation und Abschlusstechnik, aber irgendwie half das alles nicht. Trotzdem habe ich weitergemacht. Ich sagte mir, jeder durchschnittliche Verkäufer im High-End-Sektor schaffte es, wenigstens einige Anlagen zu verkaufen. Ich wollte mir beweisen, dass ich das auch schaffte. Mein Chef saß mir im Nacken und der Druck wurde immer schlimmer. Ich suchte mir Ausreden wie die Kunden nehmen uns das neuartige Konzept nicht ab, weil wir auch noch mit anderen Produkten im Niedrigpreissektor vertreten waren. Also war das eine Frage der Kompetenzvermutung? Nein, das war es nicht. Ich war frustriert. Egal was ich tat, es funktionierte einfach nicht. Ich blieb dran, aber nach dreimonatiger Verzweiflung und ohne Erfolg wollte ich komplett aufhören. Der Job machte mir jetzt einfach unterirdisch wenig Spaß. Das Verkaufen von High-End-Produkten war eindeutig nicht meine Berufung. Aber eine Sache gab mir keine Ruhe. Bei dem ganzen Aufwand, den ich betrieb, um einen Abschluss zu erzielen, wollte ich unbedingt herausfinden, was die zahlreichen Kunden in den Momenten dachten, als sie grinsend vor mir standen und mein Angebot höflich ablehnten. Täglich hatte ich eine Menge Begegnungen und gute Gespräche und die Kunden sind auch mehrfach wiedergekommen, um an das vorgegangene Gespräch anzuknüpfen. Negatives Feedback äußerten sie im Verkaufsgespräch nie. Im Gegenteil. In dem Augenblick dachte ich mir: Was denkt er gerade? Wenn ich nur wüsste, wo ich jetzt ansetzen könnte, dann würde ich diesen Schritt gehen. Nach einer Produktpräsentation konnte ich sehen, wie jemand an seinem Jackett zupfte, nachdem ich auf seinen Einwand eingegangen war. Intuitiv wusste ich, dass ich etwas falsch gemacht hatte, aber ich wusste nicht was (der Kunde antwortete auf einen störenden Reiz des Augenblicks, den er entfernt oder abgeschüttelt hat). Wenn die Kunden mir verbal kein Feedback geben wollten, gab es dann nonverbal etwas, womit ich arbeiten könnte? Ich hatte keine Ahnung, welche Antworten ich auf diese Fragen finden würde. Gibt es irgendwelche Anzeichen im Gesichtsausdruck oder in den Gesten der Person, die darauf hindeuten würden, dass eine Emotion nicht echt war, sondern künstlich erzeugt? Völlig verzweifelt schaute ich mich als Spion bei der Konkurrenz um. Jene Verkäufer, die sehr erfolgreich High-End Anlagen verkaufen konnten und ich beobachtete, wie sie vorgingen. Da ich nicht immer nah genug herankam, um das Gehörte zu analysieren, schaute ich immer wieder zu, wie sie sich bewegten und wie sie sich verhielten. Aus dieser Perspektive dämmerte mir etwas. Ich bekam ein Gespür dafür, wie sich eine Dynamik im Verkaufsgespräch entwickelte. Verglichen mit erfolgreichen High-End-Verkäufern wirkte meine Körpersprache eher unterwürfig und bittstellerisch. Das ergab Sinn, denn ich musste unbedingt diese Stereo-Anlagen an den Mann bringen und diesen Druck hatte ich scheinbar ausgestrahlt. Ich verkrampfte. Bei diesem Verkäufer spürte ich echtes Selbstbewusstsein, seine Körpersprache verriet mehr Anmut und Nonchalance. Eine Leichtigkeit, die viel dazu beiträgt und nach außen strahlt: »Ich bin kompetent, ich weiß, wovon ich rede, Sie kaufen bei einem Sieger!«

Weil ich nur Zuschauer war, konzentrierte ich mich darauf, kleinste Körpersignale zu deuten, die Handbewegungen der Kunden und der Verkäufer zu beobachten, das Runzeln ihrer Augenbrauen, die Tonhöhe, den Tonfall und das plötzliche Verschränken ihrer Arme. Dann fing ich an, mich und den Kunden in meinen Gesprächen selbst zu beobachten. Mir fiel zum Beispiel auf, dass die Halsschlagader bei den Kunden hervortrat, wenn es um die Preisverhandlung und den Abschluss ging, was ein Zeichen für die Nervosität war. Ihre Atemmuster beim Sprechen faszinierten mich, und ich entdeckte, dass bestimmte Rhythmen Anzeichen für Langeweile verrieten und häufig von einem Gähnen begleitet wurden. Haare schienen für die Kommunikation eine wichtige Rolle zu spielen. Ein sehr sorgfältiges Zurückkämmen einzelner Strähnen wies auf Ungeduld hin – »Ich habe genug gehört; sei jetzt still.« Aber ein schnelleres, eher unbewusstes Streichen konnte gefesselte Aufmerksamkeit bedeuten. Eine unglaublich spannende Gratwanderung begann.

Ein Gespräch nach dem anderen ließ mich immer wiederkehrende Muster erkennen. Während des Verkaufsgesprächs machte der Körper meiner Kunden alle möglichen Bewegungen und ihr Tonfall schien ein Eigenleben zu führen. Ein Kunde sagte: »Ja, das ist eine gute Idee«, verwendete dabei aber eine monotone Stimme und setzte ein sichtlich spöttisches Lächeln auf, welches das genaue Gegenteil zu sagen schienen. Offenkundig konnte man »Ja« sagen und »Nein« meinen.

Ich begann sukzessive, auf solche Kleinigkeiten zu achten. Es war wie ein Spiel. Im Laufe des nächsten Tages zählte ich vierzehn verschiedene Arten von »Nein«, die eine unterschiedlich starke Entschlossenheit zum Ausdruck brachten und jeweils von verschiedenen Körperbewegungen begleitet wurden. Einmal stellte ich fest, wie ein Kunde etwas bejahte, dabei aber den Kopf schüttelte. Es war sehr nuanciert, aber ich habe es wahrgenommen. Wenn jemand »Ja« sagte, aber »Nein« meinte, zeigte sich das in Mimik und Körpersprache. Diese Signale waren unbewusst, doch jetzt waren sie für mich sichtbar geworden.

Schon bald machte ich ein Spiel daraus, in möglichst wenigen Sekunden zu erraten, worauf der Kunde wirklich hinaus wollte. Es war beinah so, als wäre mir durch den großen Misserfolg plötzlich ein zweiter menschlicher Kommunikationskanal bewusst geworden – eine zweite Sprache, mit der die Menschen ihre wahren Gedanken und Gefühle zum Ausdruck brachten, manchmal ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Was würde geschehen, wenn ich irgendwie lernen könnte, die Feinheiten dieser Sprache zu beherrschen? Wie würde sich meine Wahrnehmung der Kunden verändern? Konnte ich diese Fähigkeit auf die fast unsichtbaren Gesten ausweiten, die andere mit ihren Lippen, ihrer Atmung oder der Anspannung ihrer Hände machten?

Mein Motto lautet nun: »Beobachten, beobachten, beobachten.« Zu diesem Zweck führte ich ein Notizbuch und schrieb all meine Beobachtungen auf. Ein Element, dass mich besonders faszinierte, war das Gangbild von Menschen. Ich beobachtete Passanten bei verschiedenen Gelegenheiten. Ich achtete darauf, wie fest sie auftraten: Es gab den beherzten Schritt jener, die energisch und entschlossen waren, den leichten Schritt der eher Unentschlossenen, den schlurfenden, vorgebeugten Gang jener, die eher faul waren, den gewundenen, s-förmigen Gang der Personen, die in Gedanken versunken waren. Ich registrierte den übertriebenen Hüftschwung oder den stolzierenden Gang, der automatisch den Kopf zu heben schien und Ausdruck für ein großes Selbstbewusstsein war. Es gab noch den Gang der Leute, die eine Schwäche oder Unsicherheit zu verbergen suchten, den übertrieben männlichen Gang, das nonchalante Schlendern des rebellischen Jugendlichen. Ich achtete auf plötzliche Veränderungen, die auf Aufregung oder Nervosität hinwiesen. All das gab mir eine Fülle von Informationen, die etwas über die Stimmung und das Selbstbewusstsein der Menschen aussagten. In unseren Verkaufsräumen habe ich mich immer so positioniert, dass die Kunden einige Schritte auf mich zugehen mussten. Ich bemerkte, inwiefern sich ihr Gang vor und nach dem Verkaufsgespräch veränderte. Ich beobachtete genau, wie sie sich auf den Stuhl setzten, die Spannung in ihren Händen, als sie an die Stuhllehne fassten, in welchem Winkel sie sich im Gespräch mir zuwendeten – und binnen weniger Sekunden hatte ich bereits einen guten Eindruck von den Unsicherheiten und den Spannungen meiner Kunden, die in ihrer Körpersprache klar abzulesen war, ohne dass auch nur ein Wort gesprochen wurde.

Im Laufe der Jahre weitete sich meine Beobachtungsgabe auf kaum wahrnehmbare Elemente der Körpersprache aus. Ich konnte die geistige Verfassung meiner Kunden an ihren Atemmuster erkennen, und in dem ich diese Muster spiegelte, konnte ich ein Gefühl einer tiefen Verbundenheit herstellen. Ich lernte die unterschwellige Bildung von Wörtern, die ausschließlich im Kopf stattfindet, so gut zu lesen, als ob der Kunde das Wort oder einen Namen tatsächlich aussprechen würde. Ich konnte den Beruf einer Person an ihren Händen, ihrem Gangbild, ihrer Kopfhaltung und ihren stimmlichen Tonfall erschließen. Kunden und Freunde hatten den Eindruck, dass ich hellseherische Fähigkeiten besaß, aber sie waren sich einfach nicht der Tatsache bewusst, wie lange und intensiv ich die zweite Sprache studiert und beherrschen gelernt habe. Zudem las ich alles, was es über das besagte Thema gab – von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften, Werken alter Philosophen bis zu den Schriften neuer Psychologen, Soziobiologen, Soziallinguisten, Anthropologen, Neurowissenschaftler und Ethnologen. Was das Wichtigste war: hatte ich ein einzigartiges Labor, in dem ich täglich experimentieren und nach Antworten suchen konnte: Der Verkauf. 

Gleichzeitig wurde mir klar, dass es wirklich schwierig ist, Menschen zu verstehen. Je mehr ich weiß, desto weniger weiß ich, und desto mehr weiß ich, dass die Menschen wirklich kompliziert sind. Wenn man also mit Leuten interagiert, sollte man sie nie unterschätzen, es ist wie vierdimensionales Schach und es macht einen bescheiden und einfühlsam. Ich entdeckte durch sie meine positive Emotionalität, obwohl ich mich zu der Zeit selbst als kühlen, rationalen Typen sah. Ich kenne die Leute nicht so gut, wie ich denke und es ist das, was Sokrates wahrscheinlich mit der Position der Unwissenheit meinte, die die Quelle des Wissens sei. Die Quelle des Wissens ist, dass wir nichts wissen und daher offen für das Lernen sind. Dadurch wurde mir klar, dass ich Menschen in gewisser Weise nicht so gut kenne, wie ich dachte, dass ich es getan habe, und ich muss ständig lernen und trainieren, mich selbst in dieser unterlegenen Haltung zu bringen. Ich versuche in jedem Verkaufsgespräch in diese Denkweise einzutauchen, nämlich: dass ich erst einmal nichts weiß. Ich möchte die Meinung der Kunden beim Verkauf von innen heraus ändern, damit ich ihnen nicht alle Antworten nur verbal kommuniziere, denn unsere Sprache ist einzigartig in der Tierwelt, aber für alles ist sie nicht zu gebrauchen. Sie kennen das Sprichwort: »Ein Blick sagt mehr als tausend Worte.« Man kann »bedeutungsschwer« schauen und »vielsagende« Gesten machen. Außerdem ist der Verkauf offensichtlich voll mit Situationen, in denen man besser den Mund hält. Der souveräne Gebrauch von Körpersprache schließt die Kunst des Schweigens mit ein.

Erst meine absolute Unfähigkeit, die neuen Produkte an der entsprechenden Klientel zu verkaufen, öffnete mir nicht nur die Augen für eine andere Form der Kommunikation, sondern auch für eine völlig andere Art, mit Menschen in Beziehung zu treten. Von der Ansprache über Vertrauen aufbauen bis zum Abschluss, der in Wahrheit den Beginn einer Beziehung darstellt. Erst als ich lernte, meinen Kunden zuzuhören und die wesentlichen Informationen aus ihrer Körpersprache und ihren Stimmen aufzunehmen, war ich nicht mehr länger nur Verkäufer, sondern ich wurde auch zu einem Teil von dem, was in ihrem Geist stattfand. Ich konnte mir vorstellen, warum sie »Ja« sagten, aber »Nein« meinten und durfte dabei für einen kurzen Augenblick einige ihrer widersprüchlichen Wünsche spüren. Ich konnte die Spannung in ihrem Nacken sehen und diese Spannung im eigenen Körper wahrnehmen und nachmachen, um zu verstehen, warum sie sich in meiner Gegenwart plötzlich unwohl fühlten. Ich entdeckte, die Körpersprache nicht einfach nur durch das Denken und die Übersetzung von Gedanken in Worte erfahren werden kann, sondern körperlich erfahren werden muss, indem man sich mit der Atmung oder der verspannten Körperhaltung anderer Menschen auseinandersetzt. Es ist eine andere Form von Wissen, die mit dem animalischen Teil unserer Natur in Zusammenhang steht und unsere Spiegelneuronen betrifft. Um diese Sprache zu beherrschen, musste ich lernen, mich entspannen und den ständigen Drang kontrollieren, mit Worten zu interpretieren oder das zu kategorisieren, was ich gerade sah. Ich musste mein Ego herunterfahren – weniger darüber nachdenken, was ich selbst sagen wollte – und meine Aufmerksamkeit viel mehr nach außen, auf die andere Person richten und mich auf ihre unterschiedlichen Befindlichkeiten einstellen, die sich in der Körpersprache äußerten. Ich stellte fest, dass mich eine solche Form der Aufmerksamkeit selbst veränderte. Sie machte mich sensibler für die Signale, die Menschen ständig aussandten, und verwandelte mich in einen hervorragenden sozialen Schauspieler, der in der Lage war, eine Verbindung zum Innenleben anderer herzustellen und größere Verbundenheit herzustellen.

Im Laufe meiner Transformation bemerkte ich, dass die meisten Verkäufer die entgegengesetzte Richtung einschlugen. Diese beschäftigten sich von Jahr zu Jahr immer mehr mit sich selbst und wurden unaufmerksamer. Ich vertrete die Auffassung, dass die Widrigkeiten des Lebens die meisten Menschen zu einem Rückzug nach innen zwingen. Ihnen fehlt der geistige Freiraum für einfache Beobachtungen, und damit entgehen ihnen die Signale der Körpersprache.